Autonomes Fahren, wohin könnte die Reise gehen

Können Blinde und Sehbehinderte schon bald selbständig mit dem Auto von A nach B fahren? Wie weit fortgeschritten ist das autonome Fahren, oder gehört es allenfalls sogar ins Reich der Science-Fiction-Vorstellungen?

Wir versuchen in diesem Beitrag aufzuzeigen, wie weit die Thematik fortgeschritten ist, und wohin die Reise noch führen könnte. Auch beleuchten wir kurz mögliche Szenarien des Verkehrswesens, sollte das autonome Fahren Realität werden.

Autos, welche beim Rückwärtsfahren akustisch vor Hindernissen warnen, sind bereits keine Besonderheit mehr. Beim Parkieren unterstützen des Öfteren Sensoren und Kameras am Fahrzeug, ob eine Parklücke genügend gross ist, geben Hinweise, ob vor- oder rückwärts korrigiert werden soll, etc. Allein diese, bereits mehr oder weniger verbreiteten Funktionen bei Fahrzeugen, sind Teil des autonomen/automatisierten Fahrens.

Fachleute unterteilen die autonome Mobilität nämlich in 5 verschiedene Kategorien:

  • Assistiert: Umfasst z.B. Tempomat, Abstandsregelung, Spurhalteassistent.
  • Teilautomatisiert: Das Auto kann auf bestimmten Strecken autonom fahren. Der Fahrer überwacht ständig.
  • Bedingt automatisiert: Das Auto fährt auf bestimmten Strecken autonom. Der Fahrer muss das Steuer kurzfristig übernehmen können.
  • Hoch automatisiert: Das Auto fährt autonom. Der Fahrer muss das Steuer im Notfall übernehmen können.
  • Vollautomatisiert: Das Auto fährt vollständig autonom. Es ist kein Fahrer erforderlich.

 

Warum sollen aber eigentlich Fahrzeuge autonom unterwegs sein?

Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) und die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) nennen als häufigste Unfallursachen Ablenkung, Unaufmerksamkeit, Vortrittsmissachtung - kurz zusammengefasst: menschliches Versagen. Gewisse Studien schreiben dieser Ursache eine bis zu 90-prozentige Unfallquote zu.

Allein diese Tatsache scheint das Bestreben nach vollkommen autonomen Fahrzeugen zu legitimieren. zählt man dann noch die vom Bundesamt für Strassen, 2019 errechneten 30'000 Staustunden dazu, ist dieses Bestreben eigentlich fast nicht mehr anzuzweifeln. Denn auch für Staus wird der Mensch als Hauptursache verantwortlich gemacht.

 

Doch halt, sind denn völlig autonom fahrende Fahrzeuge wirklich so viel sicherer und effizienter als der Mensch? 

Nur wenn hochkomplexe Abläufe Hand in Hand funktionieren, ein genügend leistungsfähiges Datennetz vorhanden ist, und wenn die künstliche Intelligenz in Fahrzeugen einst genügend ausgereift ist, kann diese Frage mit Ja beantwortet werden. Nachstehend versuchen wir aufzuzeigen, welche Komponenten und Abläufe zwingend notwendig sind, um eine 99,999-prozentige Sicherheit zu erreichen.

Die häufig gestellte Frage im Zusammenhang mit der Sicherheit bei autonomen Fahrzeugen lautet:

 

Wie entscheidet sich das autonome Auto bei einem Unfall, Senioren oder Kindergruppe?

Roland Siegwart, Professor an der ETH Zürich für autonome mobile Roboter beantwortet diese Frage wie folgt:

"Grundsätzlich entscheidet sich das autonome Auto basierend auf den Algorithmen, mit denen es programmiert ist. Am Ende sind es viele Optimierungsprobleme. Auch wir Menschen wägen in so einer Situation unterbewusst ab und versuchen zu optimieren. Aber ein System wie ein Roboterauto kann das viel besser. Es kennt den exakten Bremsweg und maximale Kurvenradien und entscheidet sich dann für die beste Lösung. Das Auto fährt dahin, wo die kleinste Wahrscheinlichkeit besteht, einen tödlichen Unfall zu generieren. Damit sind auch solche spezifischen Fragen – ob Rentnerin oder Schulkind – gar nicht mehr relevant, weil das System immer die beste Lösung wählt. Im Gegensatz zum Menschen."

 

Welche Komponenten sind für das autonome Fahren zwingend notwendig?

 

Cloud

In der Cloud werden in Echtzeit Sensordaten und Kamerabilder gesammelt und als digitale Karten mit mehreren Schichten für alle Autos bereitgestellt. Sie beinhalten neben dem Strassenverlauf auch Gebäude und Infrastruktur wie Lichtsignale, Strassenschilder etc. Diese Daten und solche zu Strassenzustand, Verkehrsdichte, Baustellen, Umleitungen und Wetter werden ständig von allen Autos aktualisiert. Die Routen werden von den Fahrzeugen so geplant, dass Staus und Gefahrensituationen im Voraus vermieden werden.

 

Steuerung

Die Daten aus der Cloud werden mit den Daten der Sensoren und jenen des GPS abgeglichen. Eine künstliche Intelligenz erkennt über die Sensoren andere Verkehrsteilnehmer und hat gelernt, deren Verhalten einzuschätzen und entsprechend in Echtzeit richtig zu reagieren.

 

Sensoren

Die verschiedensten Arten von Sensoren sind ein äusserst wichtiger Faktor beim autonomen Fahren. So beobachten auf 360 Grad Kameras, Stereokameras für räumliches Sehen, Radarsensoren mit kurzer und langer Reichweite und Lidar-Lasersensoren die Umgebung des Autos. Jede Wahrnehmung muss mindestens von zwei Sensoren unabhängig bestätigt werden, damit sie als richtig gilt. Die Daten zur Umgebung werden dann wiederum in die Cloud übermittelt.

 

GPS

Positionsdaten und Geschwindigkeit werden konstant übertragen. Diese Daten allein wären aber zu ungenau, um autonomes Fahren zu ermöglichen.

 

5G

Für die Echtzeit-Kommunikation mit der Cloud ist ein flächendeckendes 5G-Mobilfunknetz eine zwingende Voraussetzung. Nur mit einem solchen Netz ist es überhaupt möglich, die riesigen Datenmengen in Echtzeit zu übermitteln.

 

Auto

Autonome Fahrzeuge verfügen über einen Elektroantrieb. Dieser lässt sich viel feiner als ein herkömmliches, benzinbetriebenes Fahrzeug steuern.

 

Car2X

Die Autos können mit Lichtsignalen, Verkehrsschildern oder Baustellenabsperrungen kommunizieren. Diese Informationen fliessen dann wiederum in das Verhalten eines Fahrzeuges ein.

 

Car2Car

Die Autos kommunizieren untereinander. So können sie sich z.B. vor wahrgenommenen Gefahrensituationen warnen.

 

An der Optimierung all dieser Faktoren, und deren Zusammenspiel, wird weltweit mit Hochdruck geforscht.

 

Auswirkungen des autonomen Fahrens auf die gesamte Mobilität

Laut einer Studie (Autonomes Fahren in der Schweiz), die von der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) in Auftrag gegeben wurde, ist das wahrscheinlichste Szenario, dass der öffentliche Verkehr weiterhin seinen Stellenwert hat, die autonomen Fahrzeuge aber für die Feinverteilung der Menschen zuständig sein werden. Der Zug ist beim Transport vieler Personen von z.B. Bern nach Zürich weitaus effizienter als Individual-Fahrzeuge. Auch die ökologischen Vorgaben, welche vom Bund auf längere Sicht ausgegeben wurden, sprechen klar für dieses Szenario.

 

Wie lange dauert es noch, bis vollautomatisiert gefahren wird?

Der Einsatz von vollautomatisierten Fahrzeugen hängt einerseits vom technischen Fortschritt, andererseits aber auch von der Gesetzgebung ab. Die Frage der Haftung bei einem Zwischenfall, die Überwachung durch die öffentliche Hand bei der Verteilung neuer Software für die Fahrzeuge etc. bestimmen ebenso das Tempo der Einführung, wie auch die Akzeptanz in der Gesellschaft. Wollen Leute weiterhin Fahrzeuge besitzen, welche bis zu 95 Prozent ungenutzt herumstehen, oder sollen Fahrzeuge auf Abruf für den Transport von A nach B zur Verfügung stehen? Auch die durchschnittliche Lebensdauer eines Autos spielt eine gewichtige Rolle, wann das wirklich vollautomatisierte Fahren Realität sein wird.

Experten sind sich aber einig, dass die vollautomatisierte Mobilität der nächste grosse Schritt bei der Entwicklung des Verkehrs, und damit auch zu einem Teil der Gesellschaft, sein könnte. Das Verhalten einer solchen Gesellschaft wurde - und wird wohl auch in Zukunft - stark durch die vorhandenen Möglichkeiten der Mobilität beeinflusst.

Je nach Fachgebiet der Experten fallen die Antworten auf die Frage, wann denn nun vollautomatisiert gefahren werden kann, von 15 bis 40 Jahre aus. Sicher ist aber, dass noch eine ganze Menge an Vorkehrungen, Forschungen etc. gemacht werden muss, ehe vielleicht auch blinde und sehbehinderte Personen selbständig in einem Auto von A nach B fahren können.

 

Welche möglichen Vorzüge der Technologien könnten aber bereits früher Vorteile für Betroffene mit sich bringen?

Mit all den gesammelten Umgebungsdaten, Kommunikation zwischen Fahrzeugen, Baustellen etc. und dem schnellen Datentransfer, wären durchaus auch andere Anwendungsgebiete bereits früher denkbar.

So wäre vorstellbar, dass die Navigation viel genauer und zuverlässiger werden könnte. Dies würde sicher ein enormer Gewinn im Alltag bedeuten!

Auch die Interaktion, z.B. eines "intelligenten" Blindenstocks, einer speziellen Brille oder eines anderen Geräts, mit Lichtsignalen, Fahrzeugen etc. könnte eine erhebliche Verbesserung der Sicherheit und Mobilität bedeuten.

Wir dürfen sicher gespannt sein, welche Errungenschaften wir auf dem Weg zur autonomen Mobilität zu unseren Gunsten nutzen könnten.

 

Autor: Technologie und Innovation / Juni 2021