Digitalisierung im Gesundheits- und Sozialwesen – nicht ohne Barrierefreiheit!

Ob Zugtickets, Korrespondenz oder auch Kaffeemaschinen – die Welt wird immer digitaler. Für blinde und sehbehinderte Menschen ist es dementsprechend äusserst wichtig, zu digitalen Anwendungen barrierefrei Zugang zu haben. Der SBV engagiert sich in verschiedensten Bereichen für die digitale Barrierefreiheit. Auch auf politischer Ebene: Dank unserer Arbeit hat sich der Nationalrat in der Frühlingssession gleich zweimal mit dem Thema auseinandergesetzt. Mit durchzogener Bilanz.

«DigiSanté»: Keine Barrieren bei der digitalen Transformation im Gesundheitswesen

Ein wichtiges Thema der nationalrätlichen Frühlingssession war «DigiSanté», ein Programm zur Förderung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen. Der Bundesrat hat dafür einen hohen Verpflichtungskredit von 391,7 Millionen Franken beantragt. Ziele des Programms sind mehr Qualität, mehr Effizienz, mehr Transparenz und eine erhöhte Patientensicherheit.

Der SBV begrüsst das Programm grundsätzlich, musste aber leider feststellen, dass in der Botschaft ein weiteres komplexes und anspruchsvolles Thema, nämlich die Barrierefreiheit, gänzlich ausser Acht gelassen wurde. Es reicht nicht festzuhalten, dass die Datenflüsse im Gesundheitswesen medienbruchfrei und sicher sein sollen: sie müssen auch barrierefrei sein! Wir haben daher gefordert, dass im Bundesbeschluss explizit festgehalten wird, dass die Leistungen der Bundesverwaltung der gesamten Bevölkerung zugänglich sein müssen und dass die betroffenen Kreise frühzeitig miteinbezogen werden.

Dank unserer Bemühungen wurde in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK N) von Nationalrätin Manuela Weichelt ein entsprechender Antrag eingereicht. Mit Freude haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Grünen, SP, GLP und FDP den Antrag unterstützt haben und ihm im Nationalrat somit zu einer knappen Mehrheit verholfen haben. Nur schwer verständlich ist hingegen die ablehnende Haltung der Mitte. Das Geschäft geht nun an den Ständerat.

Brief an Frau Bundesrätin Baume-Schneider

Zusätzlich zu unseren Bemühungen im Parlament bezüglich DigiSanté haben wir auf die Eröffnungsrede von Frau Bundesrätin Baume-Schneider anlässlich der «Nationalen Konferenz Gesundheit 2030» mit einem offenen Brief reagiert: Wir haben den Anlass genutzt, sie im neuen Departement willkommen zu heissen und grundsätzlich auf die Wichtigkeit der digitalen Barrierefreiheit hinzuweisen. Anhand des Programms «DigiSanté», das an besagter Konferenz ein zentrales Thema war, haben wir aufgezeigt, dass Barrierefreiheit leider häufig vergessen geht.

Den Brief an Frau Bundesrätin Baume-Schneider (auf Französisch) sowie ein Factsheet zu DigiSanté finden Sie in den Dokumenten.

Motion «Digitale Barrierefreiheit im Privatsektor» leider abgelehnt

Bei einer anderen Abstimmung zum Thema der digitalen Barrierefreiheit waren wir leider weniger erfolgreich als bei DigiSanté. Zu unserer grossen Enttäuschung wurde die Motion «Digitale Barrierefreiheit im Privatsektor», die Gerhard Andrey auf Anregung des SBV im Nationalrat eingereicht hat, knapp abgelehnt. Die Motion verlangte, dass im Privatsektor im Rahmen der Verhältnismässigkeit verbindliche Grundlagen zur Sicherstellung der digitalen Barrierefreiheit von Informations- und Kommunikationstechnologieprodukten geschaffen werden. Die FDP, die unserem Antrag bei DigiSanté noch zugestimmt hatte, gewichtete in diesem Fall die Wirtschaftsfreiheit höher als die Barrierefreiheit und lehnte zusammen mit der SVP die Motion geschlossen ab. Offensichtlich hört für sie die Unterstützung der Barrierefreiheit dort auf, wo die Wirtschaft Verantwortung übernehmen soll.

Dieses Abstimmungsergebnis im Nationalrat zeigt, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in zentralen Bereichen des Alltags leider weiterhin nicht von allen Seiten unterstützt wird und insbesondere die rechten Parteien bereit sind, das Prinzip der Barrierefreiheit in Frage zu stellen. Der SBV wird nun im Rahmen der Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes auf möglichst griffige Bestimmungen zur digitalen Barrierefreiheit pochen.

Wir kämpfen weiter: Vernehmlassungen zum Heilmittelgesetz und den Sozialversicherungen

Selbstverständlich ist das für uns nur der Anlass, uns weiter mit voller Kraft für digitale Barrierefreiheit einzusetzen. Bereits haben wir zwei weitere Vernehmlassungen zum Thema beantwortet. Es sind dies die Änderung des Heilmittelgesetzes und das Bundesgesetz über Informationssysteme in den Sozialversicherungen (BISS). Beide Vorlagen sind im Kern Digitalisierungsvorlagen. Bei der Änderung des Heilmittelgesetzes geht es um E-Rezepte, den elektronischen Medikationsplan und um eHealth-Tools. Beim BISS geht es um eine E-Sozialversicherungsplattform und deren Login-Funktion mit eindeutiger Authentifizierungsmöglichkeit.

Wir weisen in unseren Antworten darauf hin, dass den bestehenden gesetzlichen Grundlagen oft die nötige Durchsetzungskraft fehlt, sodass für blinde Menschen bereits die digitale Authentifizierung das Aus bedeuten kann. Wir fordern deshalb eine klare Verankerung und Konkretisierung der behindertengleichstellungsrechtlichen Anforderungen in der jeweils relevanten Spezialgesetzgebung Sie finden unsere Vernehmlassungsantworten in den Dokumenten.

Unsere Arbeit fruchtet: E-ID

Eine gute Nachricht zum Schluss: Die neue Botschaft zur E-ID ist der Beweis, dass sich die Arbeit, Vernehmlassungen zu verfassen, durchaus lohnen kann. Auch hier hatte die Vernehmlassungsvorlage das Thema Barrierefreiheit nicht auf dem Radar. Dank diverser Rückmeldungen aus den Reihen der Behindertenorganisationen wurde die Vorlage nun diesbezüglich verdeutlicht und geschärft. Das ist wichtig, da die E-ID längerfristig eine zentrale Rolle bei der Authentifizierung spielen wird. Es ist zu hoffen, dass die Nachbesserungen den politischen Prozess überstehen und auch Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung die E-ID von Anfang an benutzen können.

 

Bildquelle: Parlamentsdienste / Pascal Mora