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Braille-Beschriftung am Trevi-Brunnen in Rom / Bildquelle: Gabriella Clare Marino, Unsplash

200 Jahre Brailleschrift: Sieben spannende Fakten über die geniale Punktschrift

Der 4. Januar ist der Welt-Braille-Tag. Dieses Jahr wird die Schrift für blinde Menschen 200 Jahre alt. Wir haben einige spannende Fakten über sie zusammengestellt.

1. Der Erfinder der Brailleschrift war 16 Jahre alt – und wurde lange nicht ernstgenommen

Der Franzose Louis Braille (1809 – 1852) erblindete mit fünf Jahren vollständig und begann schon kurze Zeit später darüber nachzudenken, wie er weiterhin autonom lesen kann. Er experimentierte mit Lederstücken und vereinfachte und optimierte bestehende Schriften, die er an der Blindenschule kennengelernt hatte. Bereits mit 16 Jahren vollendete er sein System – in der Form, wie wir es noch heute kennen. Es sollte aber noch Jahrzehnte dauern, bis sich seine Schrift auch durchsetzen würde. An der Blindenschule wurde sie verboten, an Vorträgen, wo er sie später demonstrierte, glaubte man ihm nicht, dass er «live» vorliest. Man dachte, er habe die Texte auswendig gelernt. Erst 1850, zwei Jahre vor Brailles Tod, wurde die Schrift zum Unterrichtsgegenstand an französischen Blindenschulen. Ihren internationalen Durchbruch erlebte er nicht mehr.

Ein Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem Braille-Alphabet vom sbv. Der Hintergrund ist blau und die Schrift weiss.

Ausschnitt aus dem Braille-Alphabet des sbv / Bildquelle: sbv

2. Die Brailleschrift ist streng logisch aufgebaut

Das System der Brailleschrift kann guten Gewissens als genial bezeichnet werden. Anders als «unsere» alltägliche Schwarzschrift ist Braille durchgängig logisch; sie funktioniert binär wie ein Computer. Mit nur sechs Punkten, in zwei senkrechten Reihen zu je 3 Punkten angeordnet, kann sie so 64 verschiedene Zeichen darstellen. Wie auf dem Bild zu erkennen ist, sind die Zeichen in logische Gruppen eingeteilt. Wer es genauer wissen will – es lohnt sich! – findet in den Downloads die gesamte Tabelle.

3. Brailleschrift kann jede Sprache abbilden – und mehr

Durch ihre vielen Möglichkeiten ist die Brailleschrift sehr international. Nicht nur wird sie in allen Ländern mit lateinischer Schrift verwendet (wobei die Sonderzeichen hier teilweise doppelt belegt sind). Sogar in Sprachen, deren Schwarzschrift ganz anders ist, verwenden blinde Menschen Braille. So im Arabischen, dessen Zeichen Silben abbilden und die von rechts nach links gelesen wird, im Russischen, Chinesischen, Japanischen usw. Je komplexer das Schriftsystem, desto grössere Anpassungen sind nötig. Aber Braille ist auch in diesen Sprachräumen die populärste Version einer Schrift für blinde und sehbehinderte Menschen. Einzige Ausnahme sind einige indigene Sprachen, die gar kein etabliertes Schriftsystem haben. Und der Einsatz von Braille geht noch weiter: Auch für Musik oder Mathematik gibt es Braille-Notationen, ja es gibt sogar eine Braille-Schachschrift und eine Braille-Strickschrift.

Das Bild zeigt eine Braille-Schreibmaschine auf einem Holztisch.

Die Braille-Schreibmaschine ist einfacher gehalten als die Schwarzschrift-Tastatur / Bildquelle: sbv

4. Die Schreibmaschine für Brailleschrift hat es ins Handyzeitalter geschafft

Weil die Brailleschrift so logisch aufgebaut ist, wurde auch die Braille-Schreibmaschine früh erfunden – auch sie ist nämlich bestechend einfach: Mit nur sechs Tasten, also einer Taste für jeden der sechs Punkte der Brailleschrift, lassen sich alle 64 Kombinationen tippen. Das System ist so praktisch, dass viele blinde Menschen es gegenüber Schwarzschrift-Tastatur bevorzugen. Auf den meisten Handys gibt es daher schon im Betriebssystem voreingestellt die Möglichkeit, auf eine Braille-Tastatur zu wechseln. Diese bildet die Tastatur einer Braille-Schreibmaschine ab. Die so getippten Nachrichten werden dann vom Handy in Schwarzschrift übersetzt.

Das Bild zeigt eine Braille-Zeile, die von einer Person bedient wird.

Die Braille-Zeile ermöglicht effizientes Arbeiten am Computer / Bildquelle: sbv

5. «Braille-Zeile»: Sehbehinderung als Vorteil auf dem IT-Arbeitsmarkt

Als die ersten PCs auf den Markt kamen, waren sie sehr schnell auch für blinde Menschen nutzbar: Dank der Braille-Zeile, die schon im Jahr 1978 patentiert wurde. Die Braille-Zeile wird der Tastatur angeschlossen und gibt Text auf dem Bildschirm in Brailleschrift aus: kleine «Stössel» heben und senken sich und bilden so die Braille-Buchstaben. Das ist besonders praktisch, wenn man am Tippen ist und ab und zu kurz kontrollieren will, ob die Rechtschreibung korrekt ist. Dank der Braille-Zeile wurde Informatik sehr früh an den Blindenschulen unterrichtet, und blinde Menschen hatten dadurch in der Frühzeit der PCs einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt: Viele von ihnen konnten schon effizient mit PCs arbeiten, als die sehenden Mitarbeitenden noch lange an der Schreibmaschine sassen.

6. Es gibt Alternativen: Relief-Schrift

Obwohl die Brailleschrift so vielseitig ist, gibt es eine ebenfalls recht bekannte Alternative dazu: Die so genannte «Relief-Schrift». Ihre Buchstaben sehen aus wie diejenigen der Schwarzschrift und werden als tastbare Erhebungen gestaltet. Insbesondere Personen, die spät erblinden, lernen sie statt Braille: Wer sein Leben lang ans lateinische Alphabet gewohnt war, kann sich schwertun, spät noch ein anderes System zu lernen. Zudem setzt die Brailleschrift mit ihren feinen Punkten ein sehr gutes Gespür in den Fingern voraus. Im höheren Alter, aber auch bei manchen Erkrankungen oder bei häufiger Arbeit mit den Händen kann die Sensibilität in den Fingern nachlassen. Die Relief-Schrift braucht aber viel mehr Platz als Braille, da die einzelnen Buchstaben nur in grosser Grösse ertastbar sind. Und sie zu lesen, dauert länger und ist umständlicher, weil sie nicht für den Tastsinn optimiert ist. Relief wird daher vor allem für einzelne Wörter oder kurze Texte, beispielsweise bei Aufzügen oder Schildern, gebraucht.

Das Bild zeigt eine Treppe im Bahnhof Bern. Auf dem Treppengeländer ist eine Handlaufbeschriftung zu erkennen, die den Weg zur Stadt markiert.

Handlaufbeschriftung am Bahnhof / Bildquelle: sbv

7. Screenreader und KI können Braille nicht eins zu eins ersetzen

Screenreader und Apps mit Texterkennung können heute zwar viel: Sie lesen jeden digitalen Text vor, können dank KI auch immer mehr Texte des Alltags wie Verpackungen oder Türklingeln entziffern. Aber dennoch ist ihnen Braille in vielen Bereichen überlegen.

So gibt es verschiedene Lerntypen, und viele Menschen können sich keine langen Texte merken, wenn sie sie nur hören. Und auch wenn man gut übers Gehör lernt: Allen Menschen hilft es, wenn sie bei komplizierten Texten ein Wort zweimal lesen oder einen Satz noch einmal von vorne beginnen können. Mit Braille läuft das wie mit Schwarzschrift nebenbei; mit Screenreadern muss die gewünschte Stelle mühsam gesucht werden. Unser Verbandsmagazin «Augenblick» wird u.a. aus diesem Grund nach wie vor in Brailleschrift gedruckt; viele unserer Mitglieder schätzen das sehr.

Auch sonst gilt: Lesen geht meistens schneller und unkomplizierter als Hören. Viele blinde Menschen beschriften im Haushalt ihre Medikamente, Gewürze oder Kleider mit Braille (es gibt hierfür praktische selbstklebende Etiketten) – jedes Mal mit dem Handy zu lesen, wäre viel umständlicher. Unverzichtbar ist Braille auch bei der Orientierung im öffentlichen Raum: Wenn Lifttasten, Schilder, Gleise, Haltestellen usw. mit Braille beschriftet sind, finden sich blinde Menschen viel schneller zurecht.