Hinderniserkennung: Es bewegt sich etwas
Ein Bericht von der SightCity 2025, der grössten Hilfsmittelmesse in Europa für blinde und sehbehinderte Menschen.

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Nach Jahren des eher gemächlichen Fortschritts tut sich wieder viel im Bereich der Hinderniserkennung – diesen Eindruck nahmen unsere Kollegen aus der Abteilung Technologie und Innovation von der diesjährigen SightCity in Frankfurt mit.
Fortschritte, die man hören kann
Besonders auffällig war: Es gibt nicht mehr die eine Richtung, in die sich Hinderniserkennung entwickelt. Vielmehr werden ganz unterschiedliche Ansätze gleichzeitig erprobt. Ob als schicke Brille, smartes Headset oder cleverer Aufsatz für den weissen Stock. Alle verfolgen das gleiche Ziel, nämlich die sichere Orientierung in einer Welt voller Hindernisse.
Und tatsächlich: Produkte, die noch vor wenigen Jahren wenig überzeugend waren, haben sich enorm weiterentwickelt. Ein Beispiel ist der überarbeitete WeWalk2-Stock. Ausgestattet mit einem Sensor im Handknauf, der akustische Signale ausgibt, ist er jetzt leichter, schlanker und deutlich besser in der Anwendung als sein Vorgänger.
Oder KapSys: Die Firma hat bisher nur Mobiltelefone entwickelt. Jetzt hat sie sich mit KapX in den Bereich der Hinderniserkennung gewagt. Das Produkt besteht aus einem Headset und einem kleinen Controller (etwa in Powerbank-Grösse), erkennt Hindernisse direkt und gibt per Knochenschall-Headset Feedback – ganz ohne Internetverbindung und mit den Ohren frei für Umweltgeräusche.
Zwei Produkte stechen heraus
Von den vielen vorgestellten Technologien haben uns zwei besonders überzeugt. Einerseits SmartAIs: Diese Lösung arbeitet mit dem Smartphone, das in einem Brustgurt getragen wird und per Kamera die Umgebung erfasst. Hindernisse werden in Echtzeit erkannt und über ein Bluetooth-Headset ausgegeben. Das System funktioniert trotz drahtloser Verbindung überraschend schnell – das zeigte sich, als unser Kollege Luciano Butera damit durch die Messehalle flitzte, ohne anzuecken. «Es ist wichtig, dass Produkte im Alltag einsetzbar sind. Daher ist die Reaktionsgeschwindigkeit zentral. Obwohl noch nicht auf dem Markt, zeigt bereits der aktuelle Prototyp, wie schnell das System reagieren kann – und überzeugt dadurch», so Butera.
Andererseits iSee von iVision: Diese leichte Brille nutzt Ultraschall zur Distanzmessung und wandelt die Informationen Feedback um. Die Firma stammt aus dem Brillenbereich und weiss daher, wie man Technik auch modisch gestaltet. Zudem ist der Firmengründer selbst sehbehindert und kennt die Bedürfnisse der Nutzer:innen gut.
Brille, Stock oder Headset – was passt zu wem?
Die Technologien zur Hinderniserkennung sind heute so vielfältig wie nie. Sie reichen von Kamerasystemen über Ultraschall bis hin zu Infrarot oder Radar. Genauso unterschiedlich sind auch die Signale: Es gibt Geräte mit 2D- (Distanz und Richtung) oder 3D-Audiofeedback (zusätzlich noch die Höhe eines Objekts), Vibration, Sprachbeschreibung der Umgebung, Richtungshinweise zum nächsten freien Weg oder einer Kombination dieser Möglichkeiten.
Ob ein technisches Hilfsmittel überzeugt, hängt nicht nur von der Technologie ab, sondern auch vom persönlichen Geschmack. Der klassische weisse Stock bleibt ein zuverlässiger Begleiter; robust, einfach, funktioniert immer und ohne Strom. Technische Erweiterungen wie Sensoren oder smarte Griffe können ihn ergänzen, aber nicht ersetzen.
Brillen bieten den Vorteil, dass Lautsprecher unauffällig in den Bügel integriert sind und die Ohren frei bleiben. Bei gut eingestellter Lautstärke sind die Signale nur für die tragende Person hörbar. Manche Systeme bieten Vibrationssignale als Feedback. Headsets mit Knochenschall bieten einen ähnlichen Vorteil: Die Ohren bleiben frei, Umgebungsgeräusche sind weiterhin hörbar – ein wichtiger Aspekt für die Sicherheit im Alltag.
Auch mit wenig technischer Begabung nutzbar
Für viele der neueren Produkte, wie etwa die Brille iSee, braucht es heute keine besondere Technikbegabung mehr. «Grundsätzlich kann man sie einschalten, aufsetzen und direkt ausprobieren», so Matthias Wüst, App-Entwickler in unserer Abteilung Technologie & Innovation. Klar hilft ein Blick in die Bedienungsanleitung, damit man alle Funktionen des Geräts kennenlernt. Aber: «Vom Anspruch der Bedienung her sind einige der Produkte mit einem einfachen Küchengerät mit drei Knöpfen vergleichbar.»
Und was bringt die Zukunft?
Viele der Produkte, die an der SightCity vorgestellt wurden, sind noch nicht auf dem Markt. Welche der Systeme sich effektiv durchsetzen können, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Zudem funktionieren die meisten Tools zwar schon sehr gut in bestimmten Umgebungen – etwa SmartAIs draussen, bei klaren Lichtverhältnissen. Andere wie iSee funktionieren dank Ultraschall auch bei Dunkelheit. Doch echte Allrounder gibt es noch kaum. Die grosse Herausforderung bleibt: Wie kombiniert man Hinderniserkennung draussen mit Indoor-Navigation? Wie findet man etwa den Eingang eines Gebäudes – oder das WC darin?
Hier zeigt sich ein grosses Potenzial für Kooperationen zwischen Firmen: Wenn sich etwa die Fähigkeiten einer Hindernis-Brille mit der Navigatoins-App einer anderen Firma verbinden lassen, wäre das ein echter Gewinn für Nutzer:innen.
Wir bleiben dran und beobachten mit Spannung, welche dieser vielversprechenden Ansätze sich im Alltag wirklich bewähren. Denn eines ist klar: Der weisse Stock bleibt ein treuer Begleiter, aber wer Technik mag, hat künftig mehr spannende Möglichkeiten denn je.